Megapixel Liechtenstein ist ein Literaturprojekt, das spielerisch nach dem Erzählen in der Transparenzgesellschaft fragt. Liechtenstein wird zum Schauplatz und drei LiechtensteinerInnen zu ProtagonistInnen einer außergewöhnlichen Erzählung – geschrieben von Heike Geißler, Thomas Köck und Michael Stauffer.
Heike Geißler
Welt und Bühne
Fotos: Herbert Hilbe
Thomas Köck
2:26 (nachtrag zum einundzwanzigsten jahrhundert)
Fotos: Christel Pangerl
Michael Stauffer
LLND, Liechtensteiner Landesnachrichtendienst
Fotos: Samantha Zogg
Das Experiment: Drei LiechtensteinerInnen werden 24 Stunden mit der Mini-Kamera Narrative Clip ausgerüstet, die alle 30 Sekunden ein Bild knipst. So entstehen Tausende Schnappschüsse, die einen ungewohnten Einblick in das Leben dreier Menschen geben. Auf Grundlage dieses Stoffes entstehen drei Erzählungen in Text und Bild. Sie werden bei einer Lesung präsentiert und anschließend in Form von Videos dokumentiert. Megapixel ist ein fortlaufendes Projekt des Kuratorenduos Ehrenwerth & Kümel, das stetig für neue Orte, Themen und Anlässe weiterentwickelt wird.

Heike Geißler, 1977 in Riesa geboren, ist Schriftstellerin, Übersetzerin sowie Mitherausgeberin der Heftreihe „Lücken kann man lesen“ (mit Anna-Lena von Helldorff). Zuletzt erschienen das illustrierte Kinderbuch „Emma und Pferd Beere“ (Lubok, 2009) und der Reportage-Roman „Saisonarbeit“ (Spector Books, 2014). 2016 ist sie Stipendiatin der Villa Massimo Rom. Heike Geißler lebt in Leipzig.

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Welt und Bühne
Sie sehen die Generalprobe eines Stückes.Das ist die Bühne. Die Bühne umfasst anfangs die Wohnung, reicht später auch darüber hinaus.
Das ist die Heldin, um die es eigentlich nicht geht, wobei gar nicht genau gesagt werden kann, worum es eigentlich geht. In einem entscheidenden Moment weiß die Heldin, was zu tun ist.
Das ist der Held.
1. Akt
Die Helden vermelden den Wochentag
Unter allen sieben Pillenpackungen wählen sie eine aus und legen sie demonstrativ auf den Tisch. Es ist ein Donnerstag. Wird man das, fragt sich der Regisseur, auch in den letzten Reihen sehen? Oder ist das zu diskret. Der Regisseur ruft von der Bühne ins Publikum: Wie explizit ist explizit? Das sei doch immer die Frage. Aber, fügt er an, es ist nicht so, dass ich Antworten von Ihnen will. Ich mache das alles mit mir und dem Stück aus. Jedenfalls gibt es Möglichkeiten, die man sehen kann, denn da liegen ja schließlich auch die anderen Tage bereit. Welcher Tag nun ist, bestimmen Heldin und Held. Es ist Donnerstag, und vielleicht bleibt das so. Heldin und Held warten, dass der Regisseur die Bühne verlässt, oder warten, dass er sie gänzlich für sich erobert. Soll er tun, was er will. Da liegt also eine Pillenpackung, und welcher Tag auf der Bühne ist, ist nach dieser ihnen lebenslang erscheinenden Probenzeit nun auch schon egal. Je mehr der Regisseur redet, desto mehr Zeit haben sie sich auszurechnen, wie oft er sie bisher unterbrach, wie oft er sie spielen ließ, was sie nicht spielen wollten, wie er sich gelegentlich aber doch überraschend fröhlich zeigte und ihnen einen Spaß ins Stück packte. Was ist das nochmal für ein Stück? Auch Heldinnen und Helden können alles vergessen.
Sie stehen oder sitzen oder liegen oder schweifen ab. Und füllen sich den Mund mit Pillen, wenn der Regisseur nicht hinschaut, weil diese Pillen nur aus Zucker sind. Der Regisseur nimmt Platz am Bühnenrand und murmelt: Man kann ja alles anders machen oder lassen wie es ist. Dann lacht er laut und etwas irritierend.
Es ist Donnerstag, das ist ein Anfang, wir wissen mehr als nichts.
2. Akt
Der Held betritt die Welt
Natürlich müssen alle raus, alle müssen immer raus. Der Held zieht nicht aus, um das Fürchten zu lernen. Der Held hat sich schon genug gefürchtet, wie sonst sollte er zum Helden geworden sein. Darüber könnte er viel reden. Aber er tut es nicht. Alles, was zu sagen ist, legt er erst am späten Abend in sein Gesicht und auf seine Haut und übergibt es dem Spiegel, der ihm zum Dank eine kleine Anekdote zeigt, einen Gruß aus einer anderen Zeit, in der Heldin und Held noch nicht diskrete Protagonisten eines sich vielleicht zu sehr mit der Wiederholung beschäftigenden Stückes eines sich verrannt habenden alternden, ideenarmen Regisseurs waren. Aber das, wie gesagt, erst am Abend.
Noch ist Morgen, und die Welt begrüßt den Helden: Guten Tag, Held. Guten Tag, Welt, murmelt der Held und besteigt sein Heldenmobil und dreht sich um, als wäre wer dabei, also ist da wer? Entweder da ist wer und sagt nichts oder da ist niemand oder da ist jemand und sagt etwas, aber der Held kann es nicht hören. Der Held ist mit einfacher Technik ausgestattet: Er hat Kopfhörer im Ohr, eingestöpselt in sein Smartphone, über das er die Anweisungen des Regisseurs empfängt.
Er drückt den Kopfhörer fester ins Ohr, um den Regisseur besser hören zu können.
Fahr schneller, sagt dieser. Schneller darf ich nicht, sagt der Held, der hier übrigens der Produktion sein Privatauto zur Verfügung stellt und Tag um Tag und Probe um Probe Privatbenzin ohne Kostenerstattung zu erhalten zur Verfügung stellt. Was weiß die Welt vom Helden? Was weiß der Held von der Welt? Der Held weiß ein Abenteuer als alltägliche Handlung zu verkleiden, aber daraus bastelt er sich keinen Ruf, das ist nun einfach so seine Art. Bremser, ruft der Regisseur. Der Held entfernt den Kopfhörer. Das könnte natürlich Folgen haben, aber was macht das schon, da doch alles Folgen hat. Der Held tritt auf die Bremse und fragt sich: wo ist das Ende dieser Bühne? Ist denn wirklich die gesamte Welt eine Bühne geworden?
Fokus, ruft der Regisseur, und ruft so laut, dass es der Held aus dem abgenommenem, auf dem Beifahrersitz liegenden Kopfhörer dröhnen hört. Er zieht das Telefon aus der Gesäßtasche, beendet das Telefonat, schaltet das Telefon aus. Um alle ist es gut und schlecht zugleich bestellt.
3. Akt
Der Held erweist sich als Privatmensch und Flaneur
Auch Helden sortieren sich beim Autofahren. Die Angelegenheiten sind elastisch, denkt der Held und stellt fest, er schnellt heute ständig aus der Rolle raus. Dies ist die siebte Wiederholung der Generalprobe für dieses Stück. Ob der Regisseur ein Dilettant ist? Das kam dem Helden noch nie so deutlich in den Sinn. Ja, der Regisseur ist ein Dilettant und zahlt außerdem schlecht. Der Held parkt vor einem Supermarkt, so steht es auch im Manuskript. Er steigt aus.
Im Wohnzimmer hört man unterdessen Musik von Richard Strauß. Metamorphosen. Man hört das Stück etwa dreimal so schnell wie es ist, aber es ist dennoch zu erkennen. Ob das, denkt sich der Regisseur, nun nicht doch zu dick aufgetragen ist? Er notiert die Frage auf der Liste, die immer länger wird: Dinge, die bis zur Premiere zu tun sind. Viele Dinge, keine Häkchen. Aber wer ihn fragte, wie das bis zur morgigen Premiere alles noch geschafft werden soll und ob es nicht besser wäre, die Premiere um eine Woche zu verschieben oder gleich auf nächstes Jahr, dem würde er sagen: Aus Ihnen mit Ihrer zögerlichen Art wird nie etwas werden. Sie sind doch wirklich so ein kleines und ahnungsloses Licht. In ruhigeren Minuten wird er sagen: Ich kitzele das Beste aus den Leuten heraus. Das schafft man nicht, wenn man nett ist.
Der Held streift durch den Markt, er spaziert herum und betrachtet die Produkte, liest, was auf den Packungen steht, er liest sich in aller Seelenruhe einen Regalmeter durch, das braucht viel Zeit.
Der Regisseur erkennt sein Stück nicht mehr. Was tut sein Held da. Warum ist sein Held unerreichbar für ihn. Wo ist er überhaupt. Er brüllt die auf ihren Einsatz allmählich schon ungeduldig wartende Heldin an, sie solle doch was tun. Da sei doch was faul.
Die Heldin hebt die Hand, das Bühnenlicht geht aus, dem Regisseur wird kurz bange von diesem Zufall, dann fängt er sich und notiert: Licht prüfen, dringend.
Zwischenstück über die Zukunft einer Frau
Die Kassiererin Grete M war ohne ihr Zutun und Wissen die Muse eines Künstlers geworden, der, wann immer er einkaufte, sie heimlich fotografierte und die Bilder schließlich auf Plakatwände kleben ließ. Grete M war daraufhin in der ganzen Stadt bekannt geworden und niemand ging davon aus, dass jemand anderes als sie selbst damit etwas zu tun hatte. Fast alle dachten, das sei ein merkwürdiger Größenwahn, der die Kassiererin M da befallen habe, dass sie offensichtlich viel zu viel verdiene, wenn sie es sich leisten könne, dermaßen groß und für ganze zwei Wochen in der Stadt zu sehen zu sein. Man gab ihr dann überhaupt kein Trinkgeld mehr. Nur wenige fragten: Sind Sie das wirklich? Die mochte sie dann mehr als alle und erzählte, dass sie nichts damit zu tun hat und nicht weiß, wer dahinter steht.
Grete M ist eine Kassiererin, der ab und an der Rücken schmerzt, die jede Woche mindestens drei Überstunden macht, ohne dafür bezahlt zu werden und trotzdem über die Witze ihrer Chefin lacht. Während sie Waren über das Band schiebt und dabei meistens freundlich blickt, erdenkt sie sich einen Supermarkt, in dem nichts gekauft werden kann, in dem die besten Produkte sehr preiswert oder sehr teuer ausgezeichnet sind, den man nur betreten darf, nachdem man einen Eintritt von 35 Euro entrichtet hat, ermäßigt 3, und sich den Wagen füllen, wie und womit man will, um schließlich alle Waren aufs Band zu legen und wie Kinder von guten und klugen Erzieherinnen in einer Tagesstätte von Mitarbeitern in Empfang genommen zu sehen. Auch darf man einen vollen Wagen zwischen den Regalen stehen lassen und einen oder mehrere weitere mit Waren befüllen. In zwei Jahren wird Grete M fünf dieser Märkte haben und bescheiden sagen: Ich mache ein hervorragendes Geschäft damit, dass ich nichts verkaufe als das Erlebnis, nichts zu kaufen und das kommt mir manchmal wie ein seltsamer Betrug, meistens aber wie ein großes Glück vor.
4. Akt
Der Held braucht Rat und holt ihn sich
Ist er denn jetzt noch in der Rolle. Und wer ist er überhaupt? Falls jemandem der Kopf schwirrt, dann ist er es. Falls jemand ruhig ist wie nie, dann ist er es. Der Held kann lachen und macht jetzt frei. Er geht in ein Lokal, da sitzt schon einer, schwer verwickelt in Papiere und ein anzubahnendes Geschäft. Der ächzt und erklärt, ohne dass der Held eine Frage stellt, ein Dilemma. Manche Geschäfte, sagt der, kriegt man nicht zum Laufen, manche Geschäfte kommen wirklich tot zur Welt. Ach so, sagt der Held und meint, das sollte man doch anders formulieren. Er sieht eine Frau, groß wie ein Funkturm, die tote, zum Scheitern verurteilte Geschäfte zur Welt bringt.
Der Regisseur hingegen brüllt das geschlossene Fenster an und beschimpft, was er sieht. Die Heldin denkt: dann muss man nachher die Flüche von den Regalen wischen, von den Büchern, vom Fernseher, aus dem Wäschekorb. Sie schweigt. Sie macht ja bei diesem Stück nur mit, weil der Regisseur meinte, wer quasi auf der Bühne wohnt, ist Teil von ihr, und es sei doch außerdem nicht zu viel verlangt, am Anfang des Stückes die richtige Pillenpackung auf den Tisch zu legen und sich am Ende des Stückes etwas im Liegen anzusehen. Das kriege jede und jeder hin, das bessere zudem auch noch die Einnahmen auf. Obwohl der Regisseur nicht recht hatte, denn sie wohnte eben nicht auf der Bühne, sondern die Bühne oder ein Teil davon, war in ihre Wohnung verlegt worden, hatte sie zugestimmt, an der Inszenierung, die auch keine aufwendige hatte sein sollen, wie der Regisseur vor mittlerweile mehr als zehn Monaten versprochen hatte, mitzuwirken. Nun aber zählt sie die durch den Regisseur und sein Stück erwirtschafteten Einnahmen zusammen und kommt, wie sie es auch dreht und wendet auf: Null, oder auf noch weniger. Sie setzt diese Null ins Verhältnis zu allem, was der Regisseur von ihr und dem Helden bisher verlangt hat, auch dazu, wie er, um seine Aufregung zu lindern, sich mehrmals täglich vor den offenen Kühlschrank stellt, und dabei immer etwas entdeckt, das doch sicherlich nicht mehr gegessen werde oder wovon es noch ausreichend gebe.
Gut, sagt sie und richtet sich auf, das Stück ist jetzt zu Ende. Ist es nicht, sagt der Regisseur. Ist es doch, sagt sie. Ist es nicht, sagt der Regisseur. So geht es hin und her, bis die Heldin aufsteht, sich auf das Sofa legt und den Schluss des Stückes spielt. Die Decke über den Beinen, die Fernbedienung in der Hand und auf dem Bildschirm das Foto eines unbekannten Mannes. Das kann doch nicht wahr sein, ihr habt sie doch heute nicht mehr alle, brüllt der Regisseur, doch die Heldin hat nun eine neue Rolle gefunden: Sie spiegelt den Gesichtsausdruck des Mannes vom Bild und blickt den Regisseur fast ohne zu blinzeln an. Der schmeißt die Tür zu, als er geht.
Der Held sitzt währenddessen einem leeren Stuhl gegenüber und fragt sich viel oder fragt sich nichts. Er redet in den Raum hinein und kann mit diesem leeren Stuhl besser sprechen als mit allen sonst. Er sieht den Stuhl fragend an. Was ist das für ein Tag. Der Stuhl schweigt. Hast ja recht, sagt der Held, das ist auch wirklich egal.
5. Akt
Woanders geht es anders weiter
Am Ende des Stückes, das kein Stück mehr ist, ergreift der Regisseur die Flucht nach vorn. Sein Fluchtauto ist ein Bus. Er fährt so lange, bis ihm warm wird, trotz allem Schwitzen friert er. Später wird er sagen: Ich sage zu der ganzen Sache nichts. Das geht Sie alles nichts an. Ich bin besser als Schlöndorff, Fassbinder, Pollesch, besser als alle drei zusammen, aber ich behalte jetzt alles für mich. Für irgendwen, und das schwöre ich Ihnen, wird das wie eine fürchterliche Drohung, wie eine wirklich schlechte Nachricht klingen.
Diese Person will er finden.
Ja, diese Person muss aufzutreiben sein.
Drei Stunden später, der Regisseur fährt noch immer Bus, steht er auf und sagt: Hat hier jemand ein Stück bestellt, ich habe ein gutes dabei.
Die Heldin in der Wohnung erhebt sich vom Sofa und spielt nochmals mit dem Licht.
Der Held fährt durch den Regen.
Es ist so spät wie es spät ist und morgen ist ein anderer Tag.
Bildarchiv

Herbert Hilbe wurde 1960 in Liechtenstein geboren und studierte nach einer kaufmännischen Lehre Linguistik und Europäische Volksliteratur in Zürich. Als Linguist und Sachbuchautor beschäftigt er sich vor allem mit Sprache, Mundart und der liechtensteinischen Sagenwelt. Seit einer schweren Krankheit muss er etwas kürzer treten. Herbert Hilbe lebt im liechtensteinischen Triesen und in Lochau am Bodensee.

Thomas Köck wurde 1986 in Wolfern, Oberösterreich, geboren. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft in Wien und Berlin sowie Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Für seine Theaterstücke wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Kleist-Förderpreis und dem Dramatikpreis der österreichischen Theaterallianz. In der Spielzeit 2015/16 ist Thomas Köck Hausautor am Nationaltheater Mannheim.

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2:26 (nachtrag zum einundzwanzigsten jahrhundert
zweiuhrsechsundzwanzigzweiuhrsiebenundzwanzig
zweiuhrachtundzwanzig und
da ist er wieder über dir
der riss der
sich quer über die decke ausbreitet bis
zu den fenstern läuft die
wände herunter klettert den
teppichboden aufreißt sich ins
sediment reinbeißt sich vom garten quer
übers land hin ausbreitet die
straßen kreuzt wälder verschluckt ozeane
abfließen lässt die
ganze welt zerteilt in grenzen zonen und gebiete bis
er irgendwann bei dir ankommt der riss vor dir
sich aufreißt durch dich
durchschießt dieser riss die naht
die dich mit dir selbst verbindet dieser riss
der spuren hinterlässt in dir von
dir
zweiuhrneunundzwanzig
zweiuhrdreißig und du denkst dir
das hat doch alles nichts mit dir zu tun hier
der stuck nicht und
die tabletten auch nicht
es sieht zwar hin und wieder danach aus
es fühlt sich oft an wie dein leben
was auch immer das heißt
ihr habt einander eingerichtet du und das andere hier
das man sich überzieht um missverständnissen aus dem weg zu gehen
und von draußen schaut immer wieder mal der riss herein
und du schaust zurück sagst
servus zum riss und
willkommen sagst du auch und
dann stehst du da im wohnzimmer mit dem riss
vor diesen ecken
in denen irgendjemand lebt der
dir ähnlich ist
deine bettlaken benutzt
deinen toaster benutzt
und viele seltsame geräte besitzt
von denen nicht klar ist
wozu es sie gibt aber jemand hier besitzt
diese dinge jemand den
du allerdings überhaupt nicht kennst
jemand den andere menschen sehen würden
würden sie durch dein leben gehen während du schläfst was
würdest du sehen würdest du sehen wie dich andere menschen sehen
eine statistenrolle in einem horrorfilm oder
eine fehlbesetzung in einer romanze
wahrscheinlich eine wiederholung eines heimatfilms
denkst du dir
an einem schwülen nachmittag und
ein physiker in großaufnahme erklärt jetzt dass
nach neuesten erkenntnissen der raum nur
eine holografische projektion ist er sagt
die entropie schwarzer löcher ist dafür das wichtigste argument
er sagt dass
zu jeder beschreibung eines raum-zeit-gebietes eine äquivalente beschreibung existiert die nur
betont er
auf dem rand dieses gebiets lokalisiert ist
was bedeutet dass
die maximal mögliche entropie eines raumgebietes nur von dessen oberfläche abhängt das heißt
sagt er
dass der raum eine dreidimensionale projektion
des informationsgehalts einer zweidimensionalen fläche ist
ein hologramm von etwas längst vergangenem
oder knapper
information gleich fläche
und du fragst dich
was die sehen würden diese
menschen von dir
würden sie durch dein leben gehen während du schläfst
sie würden sehen dass du das licht im oberen stock immer anlässt
und dass auch farben nebeneinander existieren können von denen man es zuerst vielleicht nicht erwartet hätte
und sie würden sehen hier
steht ein
verängstigter fernseher
und erinnert sich an das
zwanzigste jahrhundert damit wir
nichts davon vergessen
das macht der auch alleine wenn alle schlafen und am ende bleiben
die maschinen und die bilder
die erzählen vom menschen
der plötzlich weggeschlafen war einer
nach dem anderen bis
sie alle eingeschlafen waren
all die körper
gekrümmt vor erschöpfung während die maschinen laufen
und berichten erzählen und weitermachen und
ein anderes programm anbieten und sich in wirklichkeit ununterbrochen wiederholen
ununterbrochen wiederholt sich die geschichte während alle schlafen
ununterbrochen wechselt die geschichte
in die werbung
was für eine welt
auf der einfach alle schlafen all die körper gekrümmt vor
erschöpfung
während die maschinen laufen in einer welt aus bildern
die wir uns nicht aussuchen können
die ewig weitermachen und die
fußball wm macht weiter und die
emails machen auch weiter
die berge machen weiter
und der himmel macht auch weiter
und die seltsamen dinge wiederholen sich
und der kapitalismus macht weiter der macht immer weiter
ununterbrochen schmeißt der körper über die welt und bilder und worte
bis sie allen wert verloren haben und
trotzdem macht dann einfach alles weiter
all die bilder
die überhaupt
niemanden mehr interessieren die sich aber tief
ins sediment aller träume hineinbeißen
wo sie sich in den untersten schichten niederlassen bis sie
dann dieses bild von uns sind
und wir haben vergessen was da
vor dem bild einmal war
und was würden wir alle sehen würden wir schlafen
und uns dabei beobachten wie wir daliegen und schlafen
und durch unsere leben gehen über den planeten spazieren
während wir schlafen
während die bilder weitermachen und vom menschen erzählen
wir würden sehen dass
am ende des kühlschranks immer ein licht leuchtet
wir würden sehen dass man den stuck auch als unterhaltung betrachten kann
als eine etwas seltsame form der unterhaltung – zugegeben
aber dass wir zur not immer das programm wechseln können
wir würden sehen dass uns immer jemand fehlt
wir würden sehen dass wir uns weigern zu vergessen
wir würden sehen dass
wir immer noch etwas gesucht haben von dem wir nicht gewusst haben was es war wir
haben ununterbrochen weitergesucht bis
wir irgendwann vergessen haben was wir eigentlich gesucht haben wir haben
alles in form gebracht alles sortiert und aufgehört zu suchen
weil wir vergessen haben wonach wir suchen
und wir haben versucht uns zu erinnern nocheinmal aufgeschrieben haben notiert was wir brauchen
vor allen dingen einen klaren kopf
und vorne drauf ein passendes gesicht
auch wenn auf den ersten blick nicht klar ist welches gesicht zu welchem kopf passt
oder auf den zweiten blick
oder auf den dritten blick
wahrscheinlich hat noch nie irgendein gesicht tatsächlich zum darunterliegenden kopf gepasst
wahrscheinlich ist jedes gesicht im prinzip eine horrorgeschichte
das uns aus einer komplett anderen welt heraus anstarrt
etwas erschreckendes
ein schwarzes loch
eine möglichkeit
einer begegnung mit dem radikal anderen
was also würden wir sehen würden wir uns selbst sehen
wir würden eine plauze sehen mehrere köpfe und einen hintern
und hände und wörter
und noch mehr wörter
die die körper sortieren
ob die wollen
oder nicht
und zwischen all den körpern und all den wörtern
entstehen andauernd reste
überbleibsel
fragmente
spuren
die uns beobachten
die etwas über uns erzählen
eine geschichte von uns die wir selbst allerdings
überhaupt nicht lesen können
muster die wir andauernd sehen aber nicht wahrnehmen
spuren die lange vor uns da waren
und lange nach uns bleiben werden
spuren die uns immer wieder erinnern
an wege
die andere schon vor uns gegangen sind
denen wir uns anpassen können
oder nicht
spuren die zeichen werden die wir
versuchen zu verstehen um nicht
vom weg abzukommen um in wirklichkeit
unseren eigenen spuren zu folgen
spuren
denen wir auch dann folgen
wenn wir uns verirren
und überhaupt folgt man den eigenen spuren nur
um am ende vom weg abzukommen und
die orientierung zu verlieren
soviele spuren die alle
irgendwohin laufen
soviele muster die irgendetwas bedeuten
das vielleicht einmal irrelevant sein wird
die irgendjemand anders irgendwann einmal wird lesen können um
dann etwas über uns zu verstehen von dem wir nicht einmal wussten dass
es da ist
hier
und jetzt
und
fin de la bopine
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Christel Pangerl wurde 1941 in Konstanz am Bodensee geboren. Sie ist Mutter dreier Kinder und gelernte Damenschneiderin. 1998 machte sie eine Ausbildung zur Puppenmacherin, für ihre selbst produzierten und selbst modulierten Porzellanpuppen erhielt sie seitdem zahlreiche Auszeichnungen. Christel Pangerl lebt mit ihrem Ehemann in Gamprin.

Michael Stauffer (auch: Dichterstauffer) wurde 1972 in Winterthur geboren. Er studierte Deutsch, Französisch und Bildnerisches Gestalten. Seit 1999 ist er ausschliesslich künstlerisch tätig. Er macht: Prosa, Hörspiele, Performances, Theaterstücke, Lyrik, singt und improvisiert. Er lehrt am Schweizerischen Literaturinstitut der Hochschule der Künste Bern. Dichterstauffer lebt und arbeitet in Biel, Schweiz und Europa.

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LLND, Liechtensteinischer Landes-Nachrichten-Dienst
Es ist so: Dieser Auftrag, den ich habe, der kommt indirekt schon von der Firma Megapixel, eigentlich kommt er aber aus dem Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft, verordnet von Herrn Minister Zwiefelhofer. Assistiert hat dem Projekt Andreas Schädler, Abteilung Staatsschutz und Vorermittlung. Es geht bei dieser ganzen Geschichte – das ist übrigens das Logo der Firma –, es geht bei dieser ganzen Geschichte um die Ausbildung neuer Mitarbeiter für diese Abteilung, die stark vergrößert werden sollte und dann ein eigentlicher Geheimdienst werden möchte. Mein Auftrag ist heute, Ihnen diese Sachlage zu erläutern, vor allem die Methode, die wir getestet haben an drei Bewohnern, quasi zu erklären, wie das funktioniert, auf der Suche wonach wir waren und ob wir es gefunden haben. Es geht um Heimlichtuerei, davon lebt unser Geschäft. Ein Heimlichtuer – Heimlichtu-Herr oder Heimlichtu-Frau oder Heimlichtu-Kind, ist eigentlich egal, wir sind da breit aufgestellt. Wir suchen Männer, Frauen, Kinder… sie werden sehen, auch Tiere sind sehr gesucht, Kleinkinder sind auch sehr geeignet.Ich erläutere Ihnen kurz die gesetzliche Grundlage, nur damit Sie nicht denken, wir würden etwas Illegales tun. Es ist sehr wichtig in so einem kleinen Land, dass man nur legale Dinge tut. Der Zweck unseres Geheimdienstes ist die Sicherung unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen – ich zeige Ihnen einfach mal weiter ein paar Bilder unserer Büros, damit Sie auch wissen, wo wir arbeiten. Wir sind sehr demokratisch, wir freuen uns auf Besuch. Wir möchten die Sicherheit der Bevölkerung dieses Landes sowie aller Bewohnerinnen und Bewohner erhöhen. Und auch die Sicherheit derjenigen von uns, die in Wien wohnen oder Berlin, möchten wir besser schützen, oder in der Schweiz oder in Genf oder wo auch immer die wohnen. Weiter möchten wir mit unserem Geheimdienst die Handlungsfähigkeit unseres Landes aufrechterhalten. Die ist momentan stark gefährdet, kann ich Ihnen verraten. Und wir möchten auch ein bisschen (aber das ist eigentlich nur zur Tarnung) die Wahrung internationaler Sicherheitsinteressen vorgaukeln. Das ist zweitrangig, aber das mussten wir auflisten, weil wir wollten nicht so eindeutig offenlegen, was wir wirklich tun möchten. Natürlich ist das alles in der Verfassung festgelegt, das wird kontrolliert werden undsoweiter, das ist überhaupt kein Problem. Wir möchten natürlich auch den Werkplatz – das mussten wir auch extra so formulieren: Werkplatz. Weil in Liechtenstein ja so viel produziert wird. Wir konnten nicht direkt schreiben „Finanzplatz“, weil das wäre aufgefallen. Deswegen: Zum Schutz des „Werk-, Wirtschafts- und Finanzplatzes“ möchten wir unseren Geheimdienst einsetzen … Ich zeige Ihnen einfach mal ein weiteres Büro, hier sehen Sie verspiegelte Fenster. Auf der anderen Seite auch. Ein lustiges Spiel zwischen Geheimdienstmitarbeitern ist am Morgen – Entschuldigung –, wenn man sich nicht sieht, durch die Fenster einander zuzuwinken, das ist eine Deformation, die unser Beruf mit sich bringt, …eine erste, die aber sehr … ich meine es ist sehr wichtig, so zu tun, als wäre man gar nicht da, und gleichzeitig zu wissen, dass man trotzdem beobachtet wird. Das sind wichtige Kompetenzen: Anwesenheit durch Abwesenheit und Abwesenheit durch
Anwesenheit vorspielen.Ich komme jetzt auf das eigentliche Projekt zu sprechen: Sie sehen hier jetzt also eine Aufnahmereihe, wo ich meine Mitarbeiter schule in Normalsein.
Was heißt das?
Nicht auffallen, ein bisschen auffallen im richtigen Moment, im unrichtigen Moment sehr stark auffallen etc.
Es geht bei uns um den Überbegriff der „Legendierung“ oder der „Tarnidentitäten“. Das ist eine aufwendige Sache. In dieser Übungssequenz habe ich einem Mitarbeiter gesagt: Geh einkaufen.
Legende, das kennen Sie, auf gut Deutsch heißt das, jemand erfindet für sich eine Geschichte, das heißt dann Legendierung. Hier also Legendierung: Wie einer einkaufen geht.
Das ist sehr wichtig. Der Mensch muss wissen, wo er einkauft. Sonst weiß er ja gar nicht, wo er herkommt oder wer er ist. Über das Einkaufen stellt ein Mensch den größten Teil seiner Identität her. Hier also die Übung: Geh einkaufen! Kauf Schweizer Produkte, dann fällst du nicht auf. Oder kauf nur Aldi-Produkte, dann fällst du extrem auf. Je nachdem, wer dich dabei beobachtet.
Der Mitarbeiter sollte dann eben unauffällig einkaufen. Wie macht man das. Das ist die nächste Schwierigkeit. Es muss halb zielgerichtet aussehen, Käse, kurz zögern, also hier, Parmesan, oder … ich weiß jetzt gar nicht, was der da wollte. Nicht zögerlich aber auch nicht zu unzögerlich. Weil es wird oft, also wir beobachten oft die Bewegung eines Menschen. Einer, der so komplett gelähmt irgendwo steht, der fällt sofort auf. Einer, der sich ganz hektisch bewegt wie ein Drogenkonsument, der fällt uns auch sofort auf. Gefährlich sind die Menschen mit halbgezielten Bewegungen, die dann im letzten Moment ändern, was man dachte, was sie gerade tun wollten. Die sind schwer zu durchschauen. Deswegen üben wir mit ganz, ganz einfachen Tätigkeiten wie Einkaufen.
Wir suchen auch Kinder für unsere Ausbildung. Sie werden es in der Folge … ich habe noch eine Dokumentation vorbereitet, die ein Paar zeigt, dass ich engagiert habe, also gefunden und engagiert habe. Ein Paar mit Kind. Kinder sollte man natürlich so unauffällig wie möglich anziehen, also wie hier, nicht dass wenn Besuch kommt, dass der schon merkt: Uh, hier wohnt eine besondere Familie, die haben sicher einen besonderen Beruf. Nein man sollte ganz einfache Kleidung wählen für Kinder. Und man sollte sie auch normal ins Bett sperren, nicht irgendwie kompliziert. Dann, wichtig, normal stolz auf das eigene Kind sein, nicht übertreiben, nicht den ganzen Tag Kinderwagenübungen machen. Das fällt doch jedem auf, wenn man zu oft spazieren geht, das wäre schon schlecht als Mitarbeiter. Wir üben sehr oft im privaten Alltag, ich bin oft bei meinen Mitarbeitern zuhause und wir machen im Alltag ganz normale Übungen. Ich werde Ihnen später noch eine Fitnessübung zeigen, die wir auch einfach möglichst normal durchführen, dass wir nicht auffallen.
Das aktuelle Problem in Liechtenstein ist, wir sind hier stark unterwandert von ausländischen Geheimdienstmitarbeitern. Die Dichte in Liechtenstein an ausländischen Geheimdienstmitarbeitern ist so hoch, weil die alle an unsere Finanzdaten ran möchten. Es ist für uns sehr schwierig zu unterscheiden, wer normal ist, also zu uns gehört, wer nicht normal ist, wer ist bei uns im Geheimdienst ist und wer in einem ausländischen Geheimdienst ist. Wir möchten die täuschen, alle, wir möchten die alle täuschen, dass die gar nicht mehr wissen, wer hier allenfalls nette oder gute Finanz-Dinge tut. Wie gesagt werden auch Tiere ausgebildet, habe ich schon erwähnt. Wir haben dazu die Zusammenarbeit gesucht mit der Schweizerischen Blindenhundeausbildung, die dauert acht Monate. Ich weiß nicht, ob sie das wissen, so ein Hund ist teuer. Acht Monate Ausbildung, was denken sie, was das kostet?
20.000 Euro oder Franken, wenn Sie lieber in einer stabilen (VERSPRICHT SICH MASSIV) Werbung zahlen … Werbung! Währung? Werbung!
Werbung für den Schweizer Franken, nicht zu viel kaufen, sonst wird es bei uns schwierig, es ist schon schwierig, bitte verkaufen, Franken verkaufen. (DREHT VÖLLIG DURCH.) Also: Stabiler Hund, Entschuldigung, stabile Werbung, nein Währung, Entschuldigung, Ausbildung eines stabilen Hundes zur stabilen, zur Ermittlung, zur … der Hund kann vieles!
Der kann … er kann zum Beispiel als Datenträger benutzt werden. Ich habe ein Hundehalsband entwickelt mit USB-Steckplätzen zur Übermittlung der Daten. Wenn ich in Gefahr gerate, zack, den Datenstick rein, der Hund weiß genau, wo er hinmuss, der geht sofort zum Andreas Schädler ins Büro, oder direkt ins Innenministerium.
Wichtig ist auch, wie unsere Mitarbeiter wohnen. Ich sage immer: Macht’s harmlos, dass jeder denkt, hier wohnt ein Junggeselle, der gern Bier trinkt. Oder mach’s angenehm. Eben hier das Skateboard aus der Jugend, da ist nichts Verwerfliches. Es ist sportlich, aber sonst … ja, Skateboard aus der Jugend, ich hab schon gesagt: Mach’s unauffällig, aber nicht zwei Skateboard. (REGT SICH AUF) Mach eins hin, nicht zwei, du … Ich muss glaube ich noch mal mit dem sprechen, der hier das… Und auch so nahe an der Tür, das ist unglaubwürdig, das heißt höchstens, du warst mal sportlich, das ist nicht gut.
Mein Ausbildungszentrum. Hier lernen wir die Beherrschung diverser Software, zum Beispiel I-ASA-Dex, die integrale Analysesystemgewaltextremismus-Software, mit der wir die Erfassung, Bearbeitung und Auswertung von Informationen, die den gewalttätigen Extremismus betreffen vornehmen. Das ist in Liechtenstein sehr wichtig, Sie wissen es nur noch nicht. Die zweite Datenbank, die ich im Ausbildungszentrum vermittle, heißt: Index-NDDB. Das ist ein Informationssystem, mit welchem wir Zugriff auf Personen, Organisationen, Gruppierungen etc. von, über, das, äh … weiter kann ich’s jetzt nicht sagen, sonst wissen Sie, was da drinsteht. Dann haben wir noch ein sehr schönes System, das OSIP, das Open Source Intelligence Portal. Das ist schwierig in der Bedienung, weil aus den 80er Jahren stammend, als es noch keine schönen selbsterklärenden Oberflächen gab. Mein Lieblingssystem ist das Quattro P, von einem italienischen Kollegen entwickelt. Das ist ein Informationssystem, das, … man kann damit vor allem ausländische Personen … es wurde uns ja von der Europäischen Union und von den Amerikanern nahe gelegt, wir sollten besonders die ausländischen Personen, die kurzfristig zu uns kommen, untersuchen, und deswegen haben wir dieses Quattro P, … äh.
Hier bin ich mit einer Mitarbeiterin aus dem östlichen Nachbarland. Ich war auch in einer Schulung in Armenien, das ist ein sehr weit entwickelter demokratischer Staat, wo wir vor allem über Oligarchie gesprochen haben. Ich muss ja mehr wissen als meine Mitarbeiter. Da war ich mit einem Oligarch in seinem … äh … So, von den Schweizer Kollegen haben wir vor allem übernommen, wie man Versteck macht. Versteckis spielen, nennen das die Schweizer. Die Schweizer, das weisß man ja, die verstecken sehr gut, da kann man sich was abschneiden oder nehmen oder lernen. Und zwar haben wir gemerkt, diese Datenträgersache, das ist heikel, wenn das mal im Internet ist, dann ist das weg. Also wir nehmen das alles wieder raus, machen es physisch und suchen deswegen auch physische Verstecke.
Hier eine klassische Trockenmauer mit Löchern. Das Problem ist, man muss bei einem Versteck, immer darauf bedacht sein, dass es möglichst unauffällig ist, dass das niemand denkt, hier ist etwas versteckt. Und vor allem muss man wissen: Ist überhaupt etwas versteckt? Weil sonst sucht der Kollege unter Umständen sehr, sehr lang.
Wir haben Methoden, wo wir unseren Kollegen signalisieren: Achtung, hier ist etwas versteckt. Dann geht der zuerst drei, vier Mal vorbei und ist sensibilisiert, dass er hier suchen sollte, wenn er unbeobachtet ist, sonst geht er einfach schnell vorbei. Bei der Trockenmauer ist es so: Wir haben einen Stein, der fehlt, das gibt ein schwarzes Loch. Wenn dieser Stein fehlt, heißt das für uns: Hier ist nichts versteckt. Wenn der Kollege den Stein eingesetzt hat, ist etwas versteckt, aber natürlich nicht dort beim Loch, weil das würde ja jeder Vollidiot genauso machen.
Das ist die sogenannte Holzscheit-Depot-Lösung, HDL. Sie sehen, hier gibt es ein Stirnhölzer, das gekerbt ist. Es gibt zwei Diagonalen, die sich kreuzen, die sehen Sie, … So ein Kreuz auf einer Stirnseite heißt: Hier ist etwas versteckt. Wenn der Kollege nichts versteckt hat, nimmt er das Querholz raus, dreht es um, schiebt es wieder hinein und dann sehen Sie nur eine Diagonale. Wichtig, diese Verstecke an Orten wählen, wo niemand sonst vorbeikommt, sonst ist es ja kein Versteck mehr.
Kapitel Dienstfahrzeuge, kann ich Ihnen noch schnell … , da gibt’s verschiedene, hier sehen sie die Modelle „Standard“, mit denen fahren wir täglich rum. Damit fällst du überhaupt nicht auf. In ärmeren Gegenden würde das schon auffallen, aber in Liechtenstein ist man mit den hier zu sehenden Gefährten eigentlich schon am untersten Ende des noch fahrbaren sozialen Symboles.
Kommunikation nur über WhatsApp. Weil wir haben festgestellt, Massen-Sendegefäße, die senden so viel, da kann gar niemand … auch wenn du das alles speicherst, da findest du nichts mehr. Also alles nur auf den absolut unsichersten Kanälen versenden. Das sage ich meinen Mitarbeitern immer: Schick’s per Mail, schick’s per WhatsApp, völlig ungefährlich, da sucht niemand, respektive, da ist so viel Müll, da findet niemand was.
Ausbildungssequenz: Normal essen gehen. Auch wichtig, wenn Sie Kunden – also Kunden sagt man ja nicht, man sagt Objekte. Sie müssen die ja, je nachdem, einladen, damit sie mit ihnen reden. Andere reden schon freiwillig. Aber manche muss man zuerst füttern. Gehen Sie also an einen unauffälligen Ort essen, sage ich immer zu meinen Mitarbeitern. Ich hab auch schon oft gesagt: Gesund essen. (REGT SICH AUF) Aber gut, … essen Sie halt ungesund, der Gast muss sich wohl fühlen, er soll alles leer fressen, auch wenn’s nachher schwer auf dem Magen liegt, überhaupt kein Problem. Zum Schluss zeige ich Ihnen noch kurz eine Schläferwohnung, eine so genannte. Von außen wenigstens. Ganz hochwertige Abhörgerätschaften, die wir hier, direkt aus den Sechzigern, also vor dem Krieg noch importiert … Abhörsystem im Keller. Dann … hier, Blend-Sichtschutz, sehr wichtig. Dann hier zum Beispiel, äh … Jetzt kommen wir zum Paar. Das wollte ich Ihnen ja noch sagen, wieso wir Paare suchen. Die können in der Freizeit ihre Fitness, also ihre körperliche Ertüchtigung machen, die wir dann nicht zahlen müssen. Hier ist eine Übung für … für diesen Muskel an der Seite (ZEIGT AUF SEINEM KÖRPER AUF IRGENDWELCHE MUSKELN) des … also für den Mann sehr wichtigen Muskel. Das ist von früher als er noch, also: besser. Und jetzt die Übung! Diese Übung besteht in … und danach kann man sich auch ausziehen wenn man möchte. Und so sind unsere Mitarbeiter immer, wie so sind die dann gut, gela … ge, ge … die sind einfach … Zum Schluss, damit Sie von der Ernsthaftigkeit meines Geheimdienstprojektes überzeugt sind, eine praktische Übung mit dem Namen: Versteck die CD. Sie sehen die Einsatzperson mit Dienstwagen, Dienst … ich sag’s nicht, Sie wissen’s noch: Dienstwagen, Diensthund, unauffällig spazieren gehen, observieren, das Ziel … ist jemand da … ist niemand da … ah, da ist jemand … ja, da ist noch ein anderer, der sucht Pilze … die dritte hat ein Kind, das hebt das Bein vor der Brücke … Ich muss warten. Warten, bis die alle an mir vorbeigegangen sind. Jetzt steht die immer noch dort. Die CD wurde nicht übergeben. Diese Übung habe ich dann abgebrochen, nach vier Stunden.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Samantha Zogg wurde 1989 in Liechtenstein geboren und studierte sie TV-Journalismus und TV-Producer in Hamburg. Seit drei Jahren lebt sie wieder im Fürstentum in Balzers und arbeitet als Redakteurin und Moderatorin beim einzigen Radiosender des Landes. Ihre liebste Hauptaufgabe ist zurzeit aber ihrer Tochter, die im Januar 2016 zur Welt gekommen ist.
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